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  • AnnSophie, frd

Geschichten im Holz

Genau vor zwei Jahren ereignete sich im Ahrtal die Flutkatastrophe, bei der viele Häuser beschädigt und zum Teil bis heute noch nicht wieder aufgebaut worden sind. Beim letzten Fachwerkkurs von GesellenHelfen durfte ich im Ahrtal mithelfen. Eine Meisterklasse mit 18 junge Zimmerergesellen aus Freiburg hatte auf drei verschiedenen Baustellen im Ahrtal die Möglichkeit, sich in die Grundlagen der Restaurierung von Fachwerkhäusern einzuarbeiten. Ich selbst war bei der Baustelle von Andrea Mausberg mit dabei, eine unglaublich herzliche und aufgeschlossenen Anwohnerin aus Ahrweiler. Für mich war die Baustelle sehr eindrucksvoll und ich habe in den wenigen Tagen sehr viel mitnehmen können. Ergänzend zu meinem Architekturstudium habe ich über Fachwerkhäuser einiges dazu gelernt, da dieses Themenfeld in meinem Studium nur angerissen wurde. Besonders spannend fand ich zu Beginn des Kurses die Spurensuche im Holz, die von dem Zimmerermeister und Restaurator Sascha Nitsche veranschaulicht wurde. Das Wohnhaus sieht im entkernten Zustand im ersten Moment nackt und leer aus, wenn man aber genau hinsieht, ist in jedem Balken ein Teil der Geschichte des Hauses ablesbar. Wie alt das Holz ist, mit welchem Werkzeug es bearbeitet wurde, an welchen Stellen in der Vergangenheit schon einmal etwas umgebaut wurde, welche unterschiedlichen Funktionen die Balken bereits gehabt haben, usw.

Ein schönes Beispiel dafür zeigten die sogenannten Seelchen, eine dreieckige Struktur im Holz, die entsteht, wenn der Balken in Handarbeit von zwei Seiten mit einer Schrotsäge bearbeitet wird. Ich finde genau solche Dinge machen ein Haus lebendig und diese Geschichten kennenzulernen hat für mich die Arbeit an dem Gebäude noch einmal wertvoller gemacht. Auch bei allen anderen Beteiligten habe ich gespürt, das mit Bedacht und mit großer Wertschätzung für das Gebäude und seine Eigentümerin gearbeitet wurde. Als ich selbst mit Hand angelegt habe, habe ich durch die Wandergesellen und Gesellinnen für ein und die selbe Sache fünf verschiedene Herangehensweisen kennengelernt; das fand ich super spannend.

Nicht nur fachlich habe ich viel mitgenommen, sondern auch zwischenmenschlich. Die dynamische Atmosphäre auf der Baustelle war sehr motivierend und ansteckend. Überall wurde gesägt, gehämmert und gestemmt, laute Maschinen, Diskussionen und konzentriertes Arbeiten. Die Luft war voller Neugier und Inspiration, zwischendurch auch mal Frustration und Verzweiflung und dann wieder Freude und Dankbarkeit. Die Bauherrin Andrea ist gelernte Hebamme und so kam es, das zwischendurch auch mal ein Geselle mitten im Geschehen saß und eine Akupunkturbehandlung gegen Rückenschmerzen bekam, während im Hintergrund die Kreissägen liefen. Die ganze Baustelle war so voller Energie, das mir zwischenzeitlich alles etwas surreal vorkam. Das Haus von Andrea erzählt nicht nur von der Flutkatastrophe, sondern auch generationsübergreifend Geschichten, die mehr als 120 Jahre alt sind. Jetzt, zwei Jahre nach der Flut, ist eine weitere dazu gekommen: die Geschichte vom Start des Wiederaufbaus durch die Freiburger Zimmerer und der Wandergesellen. Das Gebäude strahlt jetzt mehr Resilienz aus, ähnlich wie ein Löwenzahn, der sich durch eine graue Betonritze hindurch kämpft. Es ist noch ein langer Prozess bis das Haus wieder vollständig blüht, doch die ersten Balken sind gesetzt und zeigen hoffnungsvoll, dass es weiter geht. Ich bin sehr dankbar, dass ich dabei sein und mitlernen durfte und bin schon gespannt welche Geschichten das Haus in Zukunft erzählen wird.

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