Auf der Arbeit in Mülheim-Kärlich, kam ein Arbeitskollege zu mir an den Infostand und hatte Tränen in den Augen, Tränen die mir Verzweiflung signalisierten. Ohne groß Fragen zu stellen und ohne vorher viel miteinander gesprochen zu haben, so erzählte er mir mit Panik in seiner Stimme davon, dass seine Cousine die ganze Nacht auf dem Dach ihres Hauses verbracht hat, mit ihren Kindern. Sie hatten keine Möglichkeit von dort weg zu kommen und warteten auf einen Hubschrauber. Das war für mich unwirklich, es hat sich angefühlt wie eine Geschichte im Traum, in einem Film oder sonstwo, aber nicht in der realen Welt und schon gar nicht nur unweit von uns entfernt. Meine Aufgabe sollte an dem Tag eine andere werden. Wir machten mobil. Wir beluden den Bus meines Bruders und fuhren vollbeladen in Richtung Nürburgring. Auf dem Weg dorthin war es schon sehr unwirklich was wir sahen, uns begegneten immer wieder Fahrzeuge der Bundeswehr. Was dann am Ring zu sehen war, das machte die Situation deutlich. Schlangen von Autos, die Spenden abgeben wollten. LKWs voll mit Spenden. 40 Tonner. Im Gebäude waren Helfer dabei die Spenden zu sortieren. Riesen Berge an Klamotten, Essen, Hygieneartikeln und Tiernahrung. Helfer, die schon den ganzen Tag dran waren zu sortieren und vor Erschöpfung kaum noch konnten. Wir reihten uns ein, wir taten was wir konnten und was man uns sagte. Ein volles Auto leer machen und sortieren, Die erste Windmühle in dem Film, der Ahrtal heißen soll. Es fühlte sich gut an etwas zu tun, den anderen zu helfen, zu versuchen, die Emotionen in den Gesichtern der anderen zu verändern. Doch dann, nachdem wir uns grade eingefunden haben und uns darauf eingestellt haben, die ganze Nacht weiterzumachen, hieß es „Schluss jetzt“, wir hören auf und ab morgen übernimmt die Bundeswehr. Die Helfer, die von Anfang an dabei waren, waren sichtlich frustriert, man nahm ihnen die Arbeit zu helfen weg, man sollte sich einen neuen Platz suchen. Das taten auch wir. Wir fragten, wie wir weiterhelfen können. Die gesamte Sporthalle im Eventzentrum Nürburgring diente als Ort des Sortierens. Helfer über Helfer, viel viel mehr als auf der oberen Etage, alles war viel viel mehr, es war chaotisch, frustrierend, überwältigend. Der Anblick von so vielen Spenden und von so viel Frustrierten und Überarbeiteten zehrte an meinen Emotionen. Mir war schnell klar das dieser Ort nicht mein Ort zum helfen war und als ich meinen Bruder wiederfand, war klar das es auch nicht sein Ort zum helfen war. Seine Worte waren, ich fühl mich da drüben wie in einer Boutique und dem Stapler fällt die Hälfte runter, dann wird alles in die Ecke gekehrt und man interessiert sich nicht für die Spenden. Außerdem muss man aufpassen, dass man nicht platt gefahren wird... Wir brauchten einen neuen Plan, wir gingen raus und sammelten uns. Nach Gesprächen mit Soldaten und Helfern die von Einsätzen kamen, wussten wir, wir müssen ins Tal wenn wir effektiv helfen wollen… Das war das erste mal, dass wir davon zogen mit dem Gefühl, nicht genug getan zu haben. Es sollte nicht das letzte Mal werden. Am nächsten Tag luden wir einen Bobcat auf den Hänger, packten Werkzeug, wir bewaffneten uns für den Einsatz. Kein Plan was uns erwarten würde zogen wir in Kolonne los. Wir nahmen die Schleichwege wie jeder andere Helfer auch und bahnten uns einen Weg ins Tal. Unser Zielgebiet war Ahrbrück, wir hatten eine Adresse bekommen bei der noch niemand zum Helfen war. Einzelheiten hatten wir nicht. Auf dem Weg runter ins Tal kamen uns schon regelmäßig LKWs beladen mit Schutt entgegen, Stress wurde ausgestrahlt, viel Stress. Als wir dann im Tal ankamen, sah man schon sehr früh die Verwüstung. Gestrüpp in jedem Zaun, umgebogene Zäune, kaputte Laternen, umgekippte Bäume, aber was wir dann in Ahr-Nähe sahen, hat mich stark gefordert. Menschen, die überfordert am aufräumen waren, Bauern die die Straße vor uns mit ihren Maschinen frei räumten, kaputte Häuser, Autos in Häusern, eine kaputte Kirche, alle Bänke waren zusammengeschoben und alle Fenster waren kaputt. Dieses Bild ging immer so weiter, überall wo man hinschaute, war Chaos und Verwüstung. Bei der Adresse angekommen, brannte sich mir das Bild ein, dass eine Hauswand auf einem Auto lag, der Anbau komplett weggerissen, Bäume überall, Äste überall, Zerstörung. Wir fingen an. Wir halfen ein Haus auszuräumen in dem ein Mensch mit seiner Mutter wohnte, ein Mensch der bis zu dem Tag sehr an der Menschheit gezweifelt hatte, so sagte er selbst. Wir fragten ihn bei allem,das wir in die Hände bekamen, ob er es behalten möchte, oder ob es raus auf die Straße zu dem Rest des Mülls kann. Seine Antwort war, es kann alles weg bis auf das Werkzeug, da möchte er noch einmal drüber gucken. So war die Sache recht einfach in der Absprache. Alles war voller Schlamm, dicker nasser Ahrschlamm. Es war rutschig. Recht schnell und meiner Meinung nach sehr fair, war seine Aussage, dass es sein kann, dass wir zwei Katzen finden. Im Kopf direkt die Bilder von zwei toten Katzen, die irgendwo im Schlamm liegen, aber das war schnell akzeptiert. Es ging „nur“ um Katzen. Die Geschichten, die man am Rande mitbekam waren von toten Menschen. Menschen, die die späten Warnungen nicht ernst nahmen. Aber bei dem Anblick der Menschen um uns herum sollte uns das nicht bremsen. Die Mutter des Hauses, ein wenig in die Jahre gekommen, war völlig überfordert. Sie steuerte von einer Ecke in die andere und wusste nicht so recht, wie und wo sie anfangen soll aufzuräumen. Der Nachbar hatte sich den Arm gebrochen und war nicht in der Lage etwas zu tun. Der Kampf gegen ihre Windmühle wurde unterstützt. Wir räumten alles raus auf die Straße, Schuttberge, alles nass, alles voller Schlamm. Einmal kam mir das Bild in den Kopf wie schön es aussehen würde, wenn all das von der Natur bewachsen werden würde. Einen anderen Moment werde ich wohl noch sehr lange im Kopf behalten. Der Moment als wir einen Raum ausgeräumt haben und nur noch Schlamm überall war, sagte ich zu meinem Bruder „jetzt könnten wir 10 Leute brauchen zum schippen“. Plötzlich stand da eine Handvoll Helfer und fragten ob wir sie brauchen könnten. Solche Momente waren es, die mich rührten, ich hatte an diesem Tag oft Probleme damit meine Tränen zurück zu halten. Überforderung, Rührung, Anteilnahme… Das Machen hat geholfen. Wir bewegten uns von Haus zu Haus und halfen dabei, Schlamm aus den Kellern zu bekommen. Eimerketten, Schippen, Auspumpen. Helferketten, Pfadfinder, Fußballvereine, ein Chor, Einzelpersonen, Polizist in Zivil, Bauern, Betroffene, in der Straße in der wir uns bewegten kamen immer mehr Menschen um zu helfen, eine ganz eigene Dynamik hatte sich entwickelt. Die Bilder von den Kellern werde ich wohl nicht vergessen. Alles voller Schlamm und in den meisten Kellern war ein Film von Diesel darauf, in einem Keller war es ein „Film“ von 30 cm. Wir entschieden, den Raum zu lassen, wir er ist. Man bekam bewusst gemacht, was wir unserer Grundlage Welt antun. Diesel, Gerümpel, Schrott. All das was wir in unseren Kellern sammeln. Man sah den Überfluss dessen was wir Wohlstand nennen. Aber das nur am Rande. Keine Zeit. Einfach weiter. Eine der Katzen hat mein Bruder übrigens gefunden, sie war unter einem Brett in der kleinen Werkstatt zusammen gekauert und lebte. Voller Schlamm, aber sie lebte. Mir war klar, das ich die nächsten Tage kein Fahrrad verkaufen konnte, was eigentlich mein Job war. Mir war klar, dass neben diesem Anblick, von dem Tag an, alles andere belanglos schien. Ein Telefonat am späteren Abend mit meinem Arbeitskollegen bestärkte mich in diesem Denken. Er wollte ebenfalls nach Sonderurlaub fragen. So kam es, dass wir am nächsten Tag Sonderurlaub bekamen um weiter helfen zu können. Seine Jungs und er machten mobil, ich wurde von der Frau eines Kamerads angerufen und sie machte mobil. Energie war in der Luft. Es war gut, dass wir die Bilder im Tal gesehen haben, es war gut für den weiteren Verlauf, für die Energie, die aufrecht erhalten wurde. In der Blase in der ich mich bewegte, waren alle im Aufbruch, wir bereiteten uns vor. Wir sammelten Menschen, wir beluden Autos, wir organisierten erste Hilfe Material, wir puschten uns, wir telefonierten, wir machten, wir organisierten uns, diese Energie überwältigt mich, sobald ich dran denke, alle waren am Start. Zumindest fühlte es sich so an. Wir fühlten uns vorbereitet, wir fühlten uns bereit.
Ein Arbeitskollege fuhr mich mit einem vollbeladenen Auto zu den Gesellen nach Müggenhausen. An Bord: Gummistiefel, Schippen, Essen, Handschuhe, Hygieneatikel, Klamotten, von allem etwas. Nach und nach kamen die Gesellen auf den Hof, die ersten aus dem Katastrophengebiet, die anderen als Nachschub. Wir tauschten uns aus und machten Pläne, so schnell wie möglich eine Struktur zu schaffen, die es den reisenden Gesellen erlaubte zum Helfen zu kommen. Essen, Schlafen und hygienisch versorgt zu sein. So ging es am nächsten Tag los, der Großteil der Gesellen fuhr ins Katastrophengebiet, der Rest kümmerte sich um das Lager. Wir bauten eine Küche, strukturierten uns, machten Platz, bauten ein Wohnzimmer. Es sollte den Gesellen so gut wie möglich gehen, wenn sie nach Hause kamen. Wir organisierten Frauen aus dem Ort, die uns Gemüse brachten, wir bekamen Lageberichte vom Ring, über Seuchengefahr, über die Situation im Tal, aus Ahrweiler, wir hatten einen Fahrer der uns regelmäßig Güter brachte. Wir hatten das Angebot einen Panzer zu bekommen. Kurz, es war alles möglich. Jeder Tag endete mit einer Lagebesprechung und Hubschraubern, jeder Tag begann mit Kaffee und Hubschraubern. Mein Denken war häufig, Scheiße, war doch kein Traum. War schnell wieder egal. Wir machten. In Westum bekamen wir die Möglichkeit uns auf einem Hof ein Lager einzurichten. Ein Lager für unsere Maschinen, für das Material. Wir hatten einen Ort außerhalb des Geschehens und einen sehr, sehr guten Verbündeten. Damit war mein Einsatz erst einmal beendet. Ich fuhr nach Hause und ging Fahrräder verkaufen. Abends wenn ich das Fenster offen hatte, hörte ich die Sirenen, sah das Blaulicht, es kam über den Hügel, es war wie ein Gewitter. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr Geschichten brannten sich in meinem Kopf ein: Menschen die im Keller ertrunken waren, weil die Tür nicht mehr aufging. Kinder die in Keller gespült wurden. Menschen die auf dem Dach die Nacht verbrachten, Menschen die tot aus dem Fluß gezogen wurden und mit Gürteln in den Bäumen verheddert wurden. Nachdem die sechs Meter Wasser weg waren, hingen sie immernoch in den Bäumen. Menschen die um Hilfe riefen, bis sie verstummten. Menschen die bis zum Hals im Wasser saßen und nicht mehr höher konnten. Menschen, die aus Verzweiflung den Freitod wählten. Konfrontation mit den Emotionen der Betroffenen. Konfrontation mit der Realität. Keine Ahnung wie lang der Film letztes Jahr für mich anhielt, aber meine Emotionen überkamen mich und ich zog mich zurück, musste mich sammeln, musste meine Energie wiederfinden, musste mich wiederfinden, musste die Eindrücke realisieren. Ich tat noch einige Zeit etwas aus der Ferne, unterstützte, nahm an Treffen teil, hielt Kontakt. Dann war ich erst einmal raus. Zu viel. Im April des darauffolgenden Jahres kam ich wieder ins Tal. Ich war ausgeruht und hatte Bock wieder aktiver Teil des Projekts zu sein. Am ersten Abend zurück im Tal ging es erst einmal nach Dernau auf ein Straßenkonzert von Brings. Abgefahren. Party im Katastrophengebiet. War cool. Die Menschen hatten Spaß mit den Gesellen und die Gesellen hatten Spaß mit den Menschen. Die Musik war gut. Für mich fühlte es sich ganz komisch an. Den ersten Tag zurück im Tal und die Stimmung war um 180 Grad gedreht. Die Menschen hatten beschlossen nicht mehr nur Leid zu erleben, es war an der Zeit, sich wieder mal zu feiern. Dann kam der Lehmbaukurs, ausgerichtet von Gesellen für Gesellen. Es war ein voller Erfolg. Wir lernten von zwei Meistern den Lehmbau im Crashkurs. Eine Woche, Mauern, Verputzen und Leichtlehmschüttung. Es war geil. Gute Energie. Dazu gibt es schöne Berichte. Vier Tage arbeiten, Abends Gesellenpenne, Freitag, Samstag, Sonntag irgendwas fürs Camp und oder fürs Tal. Das war ab da mein Leben. Während der SoBa Zeit war es ruhig auf Penne. Die Gesellen wohnten im Schwimmbad. Auch dazu gibt es schöne Berichte. Nach der SoBa fing es dann an, dass man sich im Verein AG Historisches Ahrtal nur noch Vorwürfe machte. Alle Beteiligten liefen seit einem Jahr auf Hochtouren, Stress und Windmühlen in jedem Kopf, doch dann wurde der Stress immer größer, denn nun kam der emotionale Stress dazu. „Du hast dies nicht, dafür hast du das nicht“ es gab keinen Überblick mehr. Fragen über Fragen und keine Antworten. Es ging alles sehr stressig und spontan voran. Meetings, leere Worte, blinde Taten, Unstrukturiertheit. Ich hatte das Gefühl eine Flut vor mir zu haben, die man nicht aufhalten kann. Viel zu viel, und keine Einigung. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, das war ein Preis. Einen Preis, den der Verein verliehen bekommen sollte. Der Streit war grundlegend darüber, dass man sich nicht einigen konnte, wer alles mit zu der Preisverleihung kommen sollte. Man sprach sich aus, man gab sich das Wort, an einem Strang zu ziehen. Was einige Tage, wenige Wochen später aber widerlegt wurde. Die Meinungsverschiedenheit kam wieder auf, der emotionale Stress wurde wieder größer und immer größer, bis dann die Entscheidung kam, die Gesellen wurden aus dem Verein geschmissen. Bamm. Das tat weh. Was tun? Ich steuerte noch einige Tage orientierungslos durchs Tal, arbeitete noch ein paar Tage, überlegte was ich tun sollte, fand keine Lösung, drehte mich im Kreis, dann war es an der Zeit, das Tal wieder einmal zu verlassen, um mich zu sammeln. Überblick verschaffen. Runter kommen. Da sitze ich nun immer noch, doch morgen geht’s zurück ins Tal. Hab mich nun drei Wochen ausgeruht und gehe morgen für ein paar Tage zurück ins Tal. Warum ich dahin zurück gehe, was mich an den Rand meiner emotionalen Belastung führt? Ich tue es, weil ich weiß, dass es Menschen gibt, die aus dieser emotionalen Belastung nicht fliehen können, weil ich weiß, dass sie sich allein gelassen fühlen, weil ich die oben beschriebenen Bilder gefühlt habe und weil ich gefühlt habe, wie es sich anfühlt mit den Gesellen und Kuhköppen etwas zu bewegen. Und weil ich gefühlt und erlebt habe, wie schön es ist, wenn es keine Rolle spielt, ob man ein Schachtgeselle ist oder Freireisend, weil ich erlebt habe, dass die Dynamik, wenn die Geschlechter-Frage keine Rolle spielt, eine sehr einfache und zielgerichtete ist. Und weil ich meinen Schnack gegeben habe, dass ich zwei Jahre am Start bin. All das sind Dinge, die mich darin bestärken als Geselle, der auf Wanderschaft war, im Ahrtal meinen Beitrag zu leisten. eFVD Fabian Goeth
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